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Vielfältig, engagiert und lebendig – „It’s a match!“ Erster Matching Day der PIA-Sozialpädagogische Assistenten bringt interessierte Bewerber und pädagogische Einrichtungen erfolgreich zusammen
Zeitzeuge(n) an der Beruflichen Schule in Bad Oldesloe
Wir dürfen nicht vergessen, was geschehen ist.
Zeitzeugengespräch
Wie kann man ein Schicksal in Worte fassen, das so emotional, so ergreifend, so unbeschreiblich ist, dass allein die Präsenz desjenigen, der dieses erlebt hat, den Zuschauern und -hörern ein Gefühl der Ehrfurcht, des Respekts und der Bewunderung vermittelt? Schwer vorstellbar. Dennoch oder besser gesagt, deswegen gebührt es sich, es zu versuchen.
„Dieses Gespräch ist wichtig und ich bin zutiefst dankbar, dass es an unserer Schule stattfinden kann“, begrüßte Schulleiter Kai Aagardt am 30. März den Zeitzeugen Tswi Herschel, seine Tochter Natali und Enkeltochter Jessica im Pädagogischen Zentrum und übergab ihm „voller Ehrfurcht“ das Mikrofon. Mehr als 200 Schülerinnen und Schüler applaudierten, noch bevor er überhaupt ein Wort gesagt hatte. Ein Gänsehautmoment, für jeden Anwesenden im Raum.
„Die Schoa darf nie vergessen werden!“, begann Tswi Herschel und leitete damit eine Zeitreise in seine Vergangenheit und in die seiner Familie ein. Er berichtete von der Judenverfolgung in den Niederlanden, aus der seine Familie stammt, und den Auswirkungen auf das alltägliche Leben seiner Eltern, noch bevor Tswi geboren war. Als er 1942 das Licht der Welt erblickte, war das öffentliche Leben für alle jüdischen Familien bereits nicht mehr existent, da die Nazi-Regularien dies nicht mehr zuließen. „Meine Eltern gaben mich im Alter von 4 Monaten an die Familie de Jongh, um mich zu schützen. Kurz danach mussten sie ins Amsterdamer Ghetto umziehen, um nur wenige Monate später im Vernichtungslager Sobibor vergast zu werden“, berichtete er sichtlich bewegt. Die Familie de Jongh nahm ihn auf, als wäre er ihr eigenes Kind. Eine Projektion mit Fotos seiner Eltern, von ihm selbst und mit der Familie de Jongh untermalte seine Ausführungen, allesamt unterlegt mit jüdischen Liedern. Letzteres kommentierte er mit den Worten: „Das ist ein Beweis der Liebe.“ Gänsehaut, erneut. Nach den schönen Bildern der Familienidylle holte Tswi die Anwesenden zurück in die damalige Realität. Er berichtete von seinen Erlebnissen während der Operation Market Garden. Die Grausamkeit und der Schrecken, die er wahrnahm, beschrieb er mit: „Die Schreie meiner Geschwister höre ich noch immer.“, als das Haus, in dem sie sich versteckten, getroffen wurde. Alle überlebten, aber die Grauenhaftigkeit der Ereignisse bleibt bis heute erhalten. Nach der Befreiung fand seine leibliche Großmutter ihn, fuhr er fort. Sie nahm ihn mit und zeigte ihm seine jüdische Herkunft und die jüdische Lebensweise. „Im Laufe der kommenden Jahre galt es meine Traumata zu verarbeiten. Dazu gehörten u. a., dass versteckte Kinder schweigen mussten, dass ich die Wut auf meine Eltern einordnen musste, weil sie mich zurückgelassen hatten, ich mit Bindungsangst zu kämpfen hatte und herausfinden musste, wer ich war“, erklärte er. Denn im Laufe der Flucht vor den Nationalsozialisten bekam er immer wieder neue Identitäten, um nicht entdeckt zu werden. „Ohne Eltern war es schwierig zu erkennen, wer man war.“, führte er weiter aus. Leichtes Kopfnicken bei einigen Schülerinnen und Schülern, während alle den Worten von Tswi Herschel weiterhin ehrfürchtig lauschten. Bilder von Stolpersteinen, auf denen die Namen seiner Großeltern und seiner Eltern verewigt wurden, erschienen im Hintergrund. Eine Erinnerung an das Schicksal, welches diejenigen erleiden mussten, die darauf geschrieben wurden.
Dann kam Tswi Herschel auf die Gegenwart zu sprechen und begann dies mit: „Hat sich etwas geändert im Vergleich zu damals?“ Ein klares „Ja“ oder „Nein“ gäbe es nicht, aber es sind Parallelen zu 1933-45 zu erkennen. Der Populismus habe Ausmaße erreicht, die nie vorher so schlimm waren wie heute, führte er an. Antisemitismus sei allerdings nicht neu, sondern es gäbe ihn seit über 2000 Jahren. Dies sei die Realität. Stille. „Nie wieder!“, schloss Tswi Herschel seine Rede. Nie wieder!
Im Anschluss trat seine Tochter Natali an das Rednerpult und berichtet, was es bedeutet, die Tochter eines Holocaustüberlebenden zu sein. „Der Holocaust geht weiter, die Auswirkungen sind auch heute noch zu spüren.“, schildert sie. Ein Charakteristikum ihrer Familie ist die Tatsache, dass es im Gegensatz zu anderen Familien keinen Familienstammbaum voller Leben gibt, sondern dass der family tree der Familie Herschel aus toten und abgebrochenen Ästen besteht. Kleine Kinder haben in der Regel Großeltern, die sie vom Kindergarten abholen. Das hat sie nie erlebt. Um die Kinder zu schützen, sprach ihre Familie zunächst nicht über die Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Holocaust. „Erst viel später kam mein Vater mit meiner Schwester und mir über dieses Thema ins Gespräch.“, berichtet sie und ergänzt: „Im Unterbewusstsein sind der Schmerz und das Leid immer da. Heute haben viele Betroffene die Kraft und Stärke, sich ihr Leben trotz aller Widrigkeiten aufzubauen. Deshalb stehe sie heute hier vor jungen Menschen aus Deutschland.“ Bildung habe den Auftrag über Mitmenschlichkeit aufzuklären. Jeder habe die Pflicht im Leben herauszufinden, was richtig und falsch ist. „Folgt nicht einfach einem System, sondern seid menschlich und tolerant,“ lautet ihr Appell an die Schülerinnen und Schüler.
Herschels Enkelin Jessica sprach stellvertretend für die dritte Generation der Holocaustüberlebenden zu den Schülerinnen und Schülern. „Ich habe den Hass gegenüber Juden anders erlebt als meine Mutter.“, erklärte sie. Jessica ist in Israel aufgewachsen und erfuhr schon als sehr kleines Mädchen vom Holocaust. Während der Schulzeit in Israel besuchen alle 12. Klassen ein polnisches Konzentrationslager. Antisemitismus existiere weiterhin in Deutschland und nehme stetig zu. Hass breite sich durch die sozialen Medien weiter aus.
Im Anschluss erhielten die anwesenden Schülerinnen und Schüler Gelegenheit, Fragen an die Familie Herschel zu stellen. Ein Schüler interessierte, wie es Tswi Herschel geschafft habe, stark zu bleiben. „Ich liebe das Leben und sehe es als meine Aufgabe an, darüber zu berichten. Sonst ändert sich nichts. So etwas darf sich nicht wiederholen, wir dürfen nicht vergessen, was geschehen ist,“ antwortet Tswi Herschel.
SmiF, Schr
Wir danken Claudia Schecker und Daniel Werstat, die dieses Gespräch ermöglicht und organisiert haben.